Mittwoch, 15. Oktober 2014

Sardinien im Mai 2011

Da ist es wieder: kaum betrete ich den Raum, verstummt das vorher so angeregte Geplapper und nur vereinzeltes Tuscheln ist zu vernehmen. Das kann nicht nur mit meiner außergewöhnlichen Erscheinung zu tun haben, da es sich bei den Anwesenden
a) um Familie handelt und
b) das Außergewöhnliche höchstens in der Fantasie eines Einzelnen Bestand haben könnte.

Es ist Frühjahr 2011 und aus den geflüsterten Gesprächsfetzen kann ich nur sowas wie "Überraschung" und "Fete" entnehmen. Na super: die planen die Feierlichkeiten meines 50ten. Da man mir nichts weiter dazu sagt, habe ich also auch keinen Termin und beschliesse, an dieser Feier nicht teilzunehmen!
Aus irgendeinem mir nicht bekannten Grund genehmigt man mir vier Wochen Urlaub, was zu einem Luxusproblem führt, da Anke nur drei Wochen bekommt. So entwickelt sich mit und mit ein Plan, dessen Realisierung die Zeit bis dahin wie im Flug vergehen lässt. Ich fahre eine Woche alleine in meinen Geburtstag rein und habe als Fixpunkt nur den 22.05. / 17:20 in Cagliari, denn da landet Ankes Flieger.
Mein treuer Gefährte vieler Urlaubsreisen hat mittlerweile 130.000 km auf dem Buckel und steht kurz vor dem Erreichen der Pflegestufe 2, was mich nicht daran hindert, ihm die Last für einen mehrwöchigen Trip zweier Personen aufzubürden. Die Diskussionen über die Notwendigkeit meiner Abwesenheit wurden auf den Zeitraum in vier Wochen verschoben und es geht los.
Wenn man nach so langer Zeit noch einmal ganz alleine mit sich und der Natur unterwegs ist, entstehen Gedanken und Gefühle, die Bücher füllen könnten. So beschränke ich mich darauf, dass ich innerhalb dieser Woche einen schönen Ausflug durch Eifel, Saarland, Elsass, Vercors und Jura unternommen habe und vor lauter Nachdenken und Genießen erst am Lac d'Annecy einen Fotostop eingelegt habe
Lac d'Annecy

Mittlerweile habe ich auch am Fuße des Colombier bei einer Pizza und einer Flasche Rotwein mein persönliches Jahrhundert halbiert und quere am Col de Larche die Grenze nach Italien

Col de Larche








Durch Ligurien mit einem großen Bogen um Genua nehme ich mir anschließend noch einen Tag Zeit für die Toskana, bevor ich mich doch noch beeilen muß, die Nachtfähre in Livorno zu erreichen.

Am nächsten Morgen rolle ich schon um 7:00 Uhr in Olbia von der Fähre und mache mich auf den Weg in Richtung Süden. Hier registriere ich schon im Vorbeifahren die Versprechen der Reiseführer. Immer schön in Küstennähe fahre ich über Siniscola, Orosei und Dorgali über die schwindelerregende SS125, bis ich bei Bari in Torre di Bari auf dem empfehlenswerten Camping "La Pineta" einchecke. Zelt aufbauen, Gepäck abmontieren und im Zelt verstauen und weiter zum Flughafen. Und wieder ist es die SS125, die Suchtgefährdend den Weg weist und trotz sportlicher Gangart einen eher bescheidenen Schnitt zulässt.

Ich schaffe es tatsächlich, entscheidende Minuten vor Anke in der Ankunftshalle zu sein und muss mir zur Begrüßung anhören, dass ich doch alt geworden wäre... Wenn jetzt nicht die 150 km Rückfahrt anstehen würden, könnte der Urlaub beginnen.

Die nächsten Tage gehören Ausflügen an der Ostküste, die uns in das Gennargentu Massiv führen, wo die Straßen Korkenziehern gleichen und eine schöne Berg- und Talbahn bieten. Doch auch die Küste lockt mit kleinen, versteckten Felsbuchten zum Baden.

Der Strand des Campingplatzes lässt uns bei den herrschenden Temperaturen den Verzicht aufs Motorradfahren leicht fallen. Ganz schön überfüllt:



Quer über das Dach der Insel zieht es uns an die Ostküste; die Costa Verde. Hier finden wir ausgedehnte Strände und Dünen in einer Berg- landschaft, die von ausgedienten Kohle- und Silberminen ausgehöhlt ist und so regelrechte Geisterstädte hinterlassen hat. Unser Camping- platz "Sciopadroxiu" ist nur über eine tiefe Sandpiste incl. zweier Bachdurchfahrten zu erreichen und weitet sich in einen unglaublichen Sandstrand am berühmten Hotel Le Dune.



Auch hier unternehmen wir wieder Tagesausflüge, wie nach Iglesias mit seiner schönen Altstadt oder nach Buggeru, das in seiner Abgeschiedenheit im Schatten einer hohen Felswand sehr reizvoll ist. Die weitere Strecke südlich nach Masua ist ein landschaftliches Highlight und bietet tolle Ausblicke auf den vorgelagerten Felsen "Pan di Zucchero".

Pan di Zucchero bei Masua









Uns zieht es weiter in den Norden nach Bosa. Leider existiert der in den Karten verzeichnete Campingplatz nicht mehr, sodass wir uns auf einem Stellplatz für Wohnmobile direkt am Strand einquartieren und den Sonnenuntergang sehr intensiv geniessen können

Bosa 
Bosa mit seinem Kastell oberhalb der sich den Berg hochziehenden mittelalterlichen Altstadt ist für uns der schönste Ort auf Sardinien. Die Häuser sind bunt bemalt und die engen Gassen ziehen sich steil den Berg hinauf. Schon die Lage am einzigen schiffbaren Fluß Sardiniens zwischen flachen Tafelbergen ist schön anzusehen. Umso verwunderlicher, dass hier kaum Tourismus anzutreffen ist.
Bosa

Bosa 









Tourismus satt gibt es dafür in Alghero: eine an sich wunderschöne Stadt, die leider total überlaufen und mit Souvenirläden verkitscht ist. Trotzdem lohnt ein Besuch. Bis dahin sind wir aber bereits den Verlockungen der Küstenstraße erlegen. Die Entfernung von knapp 50 km haben wir auf 150 km ausgedehnt, da wir über die Landseite einen Kreis zurück nach Bosa gefahren sind und die Küstenstraße leider noch ein zweitesmal befahren mußten












Der Tag führt uns nach Torre del Porticciolo auf den gleichnamigen Campingplatz. Schon von weitem kann man das Capo Caccia erkennen: ein hoch aufragender Kalkklotzan der Spitze einer Halbinsel. Hier sind wir gezählte 652 steile Stufen zur Grotta del Nettuno hinabgestiegen; leider auch wieder rauf
Capo Caccia

Cap Caccia



































Capo dell Argentiera










Weiter im Norden liegt das Capo dell Argientera, das im Reiseführer ob seiner verlassenen Bergwerkssiedlungen und Geisterstädte beschrieben wird. Aber hier wird mittlerweile aufwändig restauriert, sodass man den Ausschnitt der Kamera schon bewußt wählen muß, um diese Symbolik einfangen zu können


 Ganz im Norden der Insel lockt das Capo del Falcona mit einem Traumstrand

Capo del Falcona

Capo del Falcona             







Auch wenn der Blick und die Farben wirklich beeindruckend sind, so kann die Nordspitze uns landschaftlich nicht weiter fesseln, zumal die Straßen schnurgeradeaus durch flaches Land führen. Abends auf dem Platz können wir bei Blick auf den Torre der Sonne bei ihrem Sturz ins Meer zusehen


Castelsardo 

Über Land streifen wir im Zentrum die großen Stauseen, bummeln durch die schöne Altstadt von Tempio Pausania und bewundern im Valle della Luna, was Riesen vor Jahrmillionen mit ihrem Murmelspiel angestellt haben, bevor wir die alte Festungsstadt Castelsardo erreichen und wieder die Gummisohlen unseres Motorrades mit den Wanderschuhen tauschen. Auch hier ziehen sich enge und steile Gassen über unzählige Stufen der Berg hinauf. Castelsardo wird auf drei Seiten vom Mittelmeer umschlossen und bietet so tolle Ausblicke auf die umliegende Küstenlinie.

Der heutige Tag gehört fast ausschließlich dem Capo Testa, einem wahren Felsenmeer auf einer Halbinsel bei Santa Teresa im Nordosten Sardiniens. Eine unüberschaubare Wildnis aus Granit, die die bizarrsten Formen bildet. Wir klettern den ganzen Tag durch die Felsen und können gar nicht genug davon bekommen.

Capo Testa

Capo Testa

Am Capo Testa

















Auf dem Rückweg streifen wir noch die Costa Paradiso (was für ein Name), wo naturnaher Tourismus gelebt wird und die Infrastruktur sich schön in die Landschaft einpasst. Uns haben trotzdem die roten Felsen im glasklaren blauen Meer besser gefallen

Costa Paradiso






Drei Wochen Sardinien gehen zu Ende und wir haben noch den ganzen Tag Zeit, bis die Nachtfähre geht. Wir wollen uns noch Palau ansehen und machen natürlich auch den obligatorischen Abstecher zum Wahrzeichen der Insel, dem Capo d'Orso (Bärenkap). Je nach Blickwinkel kann man in der Felsformation einen Bären erkennen, dem wir uns von hinten nähern

Capo d`'Orso





Beim Blick hinunter können wir die Inselgruppe La Maddalena sehen und entscheiden uns spontan für die Fährüberfahrt dorthin. Dank dieser Entscheidung erleben wir zum Abschluß des Urlaubes noch ein absolutes Highlight, dass wir jedem Sardinienbesucher nur ans Herz legen können. Ganz Sardinien findet sich hier in komprimierter Form wieder. An diesem Tag befahren wir wohl jeden Kilometer der beiden Hauptinseln La Maddalena und Isola Caprera, die durch einen schmalen Steg miteinander verbunden sind. Die Stadt La Maddalena bietet um den Hafen herum mit seinen granitgepflasterten Gassen ein reizvolles Ambiente und die Umrundung der Inseln herrliche Ausblicke und viele schöne Pausenfleckchen

La Maddalena

Auf La Maddalena


La Maddalena




So müssen wir uns auch jetzt wieder sputen, die Fähre zu erwischen und erlauben uns am nächsten Morgen einen übermütigen Abstecher von Livorno nach Voltera und San Gimignano um beim mehrfachen Eisweltmeister in der Gelateria di Piazza noch ein Eis zu genießen (man gönnt sich ja sonst schon keinen Luxus) und bummeln durch Ligurien zurück, bevor wir über Grenoble wieder ins Jura finden und uns dann doch noch der Zeit unterordnen zu müssen, indem wir für die letzten Kilometer die Autobahn nutzen. Voller Stolz vermeldet der Tachostand meiner alten Freewind 141.248 km; braves Mädchen

San Gimignano